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Unterwegs in Peru, Pt. 1
03. Mai
Der Sonnenaufgang kündigt sich in einer helleren Schattierung von Grau an – die Heimat macht uns den Abschied mit Regenwetter leichter, auch wenn es dessen nicht wirklich bedurft hätte. Ein Freund bringt uns zum Flughafen Düsseldorf, von wo aus es in der ersten Etappe in Richtung Chicago geht. Mancher hatte gewarnt, dass ein Transfer über die USA in letzter Zeit nicht eben spaßig sei. In der aktuellen Situation um das ‹Fiscal Cliff› und die Ausgabensperren aufgrund des Haushaltsdefizits besteht ein Überstundenverbot für Security-Bedienstete an US-Flughäfen, dazu die erhöhte Nervösität wenige Wochen nach dem Anschlag beim Boston-Marathon. Zu allem Überfluß sind an diesem Morgen auch die Systeme bei American Airlines ausgefallen, so das wir mühsam manuell eingecheckt werden, was ein grotesk roboterhaftes Sicherheits-Interview einschließt. «Haben Sie Ihre Rucksäcke selbst gepackt?» – «Wann ist das geschehen?» «Wo wurden die Gepäckstücke anschließend gelagert?» «Hatte jemand drittes dazu Zugang?» usw.
Trotzdem geht es pünktlich los. Der Flug verläuft unspektakulär, sieht man davon ab, das die Boeing ziemlich abgerockt und mies ausgestattet ist. Ein rheinischer Kegelclub auf US-Tour sorgt in stilecht einheitlicher Hoodie-Uniformierung ungefragt für Stimmung, der iPod bewahrt mich vor schlimmerem. Leider hakt es auf Chicago O’Hare dann wieder gehörig, der Weiterflug nach Miami verschiebt sich um vier Stunden – die Flugtafeln am Terminal weisen unter hunderten Abflügen einen einzigen ‹On Time› aus. Der neben mir am Gate wartende Ami bringt in seiner Begeisterung darüber in einen dreiminütigen Telefonat das komplette Fäkalvokabular der ersten 5 Staffeln Californication unter.
Am späten Nachmittag (nach UTC-5) dann weiter nach Miami. Ursprünglich hätten wir dort 8 Stunden Aufenthalt gehabt, was ob der City-nahen Lage des Airports zeitmäßig für einen Abstecher nach Downtown oder Miami Beach gereicht hätte. Mit nun nur noch 3 Stunden Netto und angesichts der aufgerufen 30 Dollar für die Taxifahrt begraben wir diesen Plan und schlendern nur um den Airport herum. Beim Security-Check später vor dem Gate beantworte ich die Frage nach dem Inhalt meiner Tasche lapidar mit «Nothing», der Beamte erachtet eine angebrochene Packung mit drei Taschentüchern sowie das leere Verpackungspapier eines Schokoriegels allerdings für «… that’s pretty lot o’ nuthin’, man!» und läßt mir eine besonders gründliche Überprüfung inkl. Körperscan und Schuhe-ausziehen angedeien, bevor es mit dem allerletzten Flieger von LAN Peru gegen 2 Uhr in der Nacht in Richtung Peru geht.
04. Mai
Lima begrüßt uns mit Nebel und wolkenverhangenem Himmel. Das ist Normalzustand von April bis Oktober und dem Aufeinandertreffen von kaltem Humboldstrom und warmen Landmassen geschuldet. Hätten die spanischen Eroberer um Francisco Pizarro bei der Stadtgründung 1535 auch bemerkt, wenn denn jene nicht gerade im Januar durchgeführt worden wäre. Manchmal greift man halt daneben.
Für die ersten Nächte hatten wir uns noch von Deutschland aus nach einem Hostel umgesehen und dabei die ganz großen Hot-Spots bewußt gemieden. Das unscheinbare ‹Royal Backpackers› im einfachen Viertel Surquillo liegt – trotz des Namens – eher abseits der üblichen Backpackerströme, der Taxifahrer muß sich in der 45 minütigen Fahrt mehrfach durchfragen. Wir checken ein, schmeißen die Rucksäcke in unser spartanisch eingerichtetes aber sauberes Zimmer, wundern uns kurz über die Zimmerdecke aus Spanplatte (20 mm Niederschläge in Lima – Jahresmenge!) und erkunden der Gegend. An der zweiten Ecke erstehen wir den ersten köstlichen frisch gepressten Fruchtsaft, viele weitere sollen noch folgen.
Von Surquillo aus durchstreifen wir nach Süd-Westen in Richtung Pazifik das mondäne Miraflores, einen der wohlhabensten Bezirke, der von den Arbeitervierteln im Osten durch einen tief eingefurchten Expressway getrennt wird, durch welchen mehrspurige Straßen und die Spuren der Metrobusse führen. Letzere bilden auf drei Linien von Nord nach Süd Limas einzigen städtischen ÖPVN. Eine U- oder S-Bahn gibt es in der 8-Millionen Metropole nicht, lediglich der ‹Tren Urbano› verbindet auf einer kurzen Strecke den Osten der Stadt mit einigen nördlichen Vorstäden, reicht aber nicht bis zur Küste oder ins Zentrum. Daher sind neben hundertausenden von Taxis allerorten privat operierende Busse und Kleinbusse unterwegs, in denen vorne jemand im Fenster hängt und fortlaufend den weiteren Verlauf der Fahrtstrecke unters Volk schreit.
Miraflores läßt sich seinen Wohlstand anmerken, breite Straßen mit gepflegten Grünanlagen verlaufen entlang moderner mehrstöckiger Bauten. Überall ist jemand in öffentlicher Uniformierung damit beschäftigt, den Boden zu fegen, Müll zu sammeln oder Rasen zu mähen. Nach einigen Kilometern bemerken wir den langsam spürbaren Geruch des Meeres, bevor wir unvermittelt an die Costa Verde gelangen, der zum Pazifik hin abfallenden Steilküste. In einem kleinen Cafe auf den Klippen trinke ich einen Cafe con Leche, das Stück Schokoladentorte dazu dürfte gemessen am Brennwert genügen, um den Orient-Express von Paris aus bis mindestens hinter den Ural zu bringen. Mächtig.
Zum Ende des Nachmittages brennt sich langsam die Sonne durch die niedrig hängende Wolkendecke. Entlang der Küstenlinie breiten sich luxuriöse Appartmentanlagen aus, wir beobachten eine Weile das Treiben in einem Skatepark, bevor wir wieder stadteinwärts ziehen und ein paar Cervezas in kleinen Bars rund um den ‹Parque Central de Miraflores› nehmen. Das Nachtleben erwacht erst zu später Stunde gegen Mitternacht so richtig, eigentlich schon zu müde lasse ich mich zu einem Besuch der ‹Salsoteca Voodoo› breitschlagen, wo wenigstens eine ziemlich gute Band spielt. Danach fordern Tag und Jetlag ihren Tribut.
5. Mai
Im Hostel geht es ruhig zu, außer uns belegen nur ein US-Amerikaner und ein junger Brasilianer zwei Betten im Dorm. Letzerer verläßt dieses auch tagsüber nur selten und verbringt seine Tage damit, irgendwelche Ruby on Rails Geschichten auf seinem Macbook zu coden.
Via Metrobus gelangen wir ins historische Zentrum von Lima, einige Kilometer nördlich am südlichen Ufer des Rio Rimac gelegen. Der zentrale Platz jeder peruanischen Stadt heißt ‹Plaza de Armas›, Lima gestattet sich da keine Ausnahme. Umgeben von massiven alten Kolonialbauten erstecken sich neben Geschäftsstraßen und Fußgängerzonen auch viele Kirchen und Klöster. Auch bar jeglicher Religiösität beeindruckt mich der aufwendige prunkvolle Baustil, welcher im krassen Kontrast zu den einfachen Häusern der Arbeitervirtel oder gar zu den Barackensiedlungen steht, die sich in Sichtweite auf der anderen Seite des Rio Rimac die Berghügel hoch schieben.
In der ‹Monasterio de San Francisco› besichtigen wir die Klosteranlagen nebst eindrucksvoller Bibliothek. Die Katakomben unterhalb des Komplexes bergen etwa 70.000 Gräber ehemaliger Oberschichtler, die sich in früheren Zeiten – anders als das einfache Volk – innerhalb des Kirchengeländes bestatten lassen konnten, die Gebeine dabei sauber sortiert. Fotografieren ist untersagt, ein, zwei Schüsse aus der Hüfte sind drin, bis das Fokuslicht das Interesse des Wachpersonals weckt.
Rund im den ‹Plaza de Armas› und den gegenüber liegenden Regierungspalast baut sich inzwischen eine Parade auf, welche von zahlreichen Schaulustigen begleitet wird. Die Semi-nervöse Pferde der berittenen Truppen pflastern die Straßen mit Pferdeäpfeln, bis sie zu ihrem Einsatz kommen. Wie wir noch des öfteren bemerken werden, sind Paraden der unterschiedlich uniformierten Militär- und Polizeieinheiten eine beliebte Attraktion in Peru. Nach einiger Zeit wenden wir uns ab und streifen durch die umliegenden Straßen, welche häufig von mächtigen Arkaden unter kunstvoll gefertigten Holzbalkonen gesäumt sind. Während meine Begleiterin sich in einem Geschäft umsieht, werde ich von einem einheimischen Mittfünfziger angesprochen. Er fragt mich, ob ich aus Alemania komme und freut sich über die bejahenden Antwort. «Ahhh, Nina Hagen, buena música!» grinst er mich an. Ich grinse zurück und mache mir Gedanken über das Deutschland-Bild der Peruaner.
Im weiteren Verlauf der Reise wird dieses jedoch zumeist auf die weltweit gültige (Ok, Ausnahme Indien) Formel ‹Fußball› heruntergebrochen: Ein Peruaner erfährt, das man aus Deutschland kommt – dann fällt umgehend der Name ‹Claudio Pizarro› und ‹Bayern München› in diversen Formen der Aussprache. Der höfliche Traveller schmeißt dann entgegnend ‹Paulo Guerrero› ein (… welcher im peruanischen Straßenbild aufgrund diverser Werbeverträge für Softdrinks und Banken ungemein präsent ist), wonach man sich fachmännisch verständigt, das jener ja nun nicht mehr in München oder Hamburg, sondern in Brasilien für seine Brötchen respektive Bocadillas zu kicken hat. Schalkes Jefferson Farfan scheint hingegen im Bewusstsein der meisten Peruaner keine große Rolle zu spielen.
Nicht viel später die nächste etwas groteske Situation. Auf den Stufen in den ‹Mercado Central› ostlich des Zentrums fragt uns jemand ‹Alemán o francés?› Für die wahrheitsgemäße Antwort performt er einen 1A Hitlergruß mit knallenden Hacken. Glücklicherweise der einzige Ausfall dieser Art für die nächsten Wochen.
Demnächst mehr.